Ingersheim informiert | 02.10.2025
Stuttgart im September 2025
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger,
mein Name ist Steffen Jäger, und ich bin Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg – der Stimme von 1.065 Städten und Gemeinden.
Heute will ich mich auf ungewöhnliche Weise direkt an Sie wenden: nicht nur als Funktionsträger, sondern als Demokrat, als Bürger dieses Landes.
Denn die Lage ist ernst. Das spüren die Städte und Gemeinden. Das spüren Sie. Das spüren wir alle.
Der Krieg in der Ukraine führt uns schmerzhaft vor Augen: Frieden in Europa ist keine Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig verschieben sich globale Machtverhältnisse. Die USA distanzieren sich – wirtschaftlich und sicherheitspolitisch. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass andere unsere Verteidigung übernehmen. Wir sind selbst gefordert. Wir müssen selbst Verantwortung tragen.
Gleichzeitig geraten wir wirtschaftlich unter Druck. Zwei Jahre Rezession, Standortverlagerungen, wachsender internationaler Wettbewerbsdruck: Unsere Volkswirtschaft hat an Schwung verloren.
Wirtschaftliche Stärke ist aber das Fundament für das, was unser Gemeinwesen ausmacht: ein funktionierender Sozialstaat, ein handlungsfähiger Rechtsstaat, eine lebendige Demokratie.
Diese Demokratie lebt in unseren Städten und Gemeinden. Hier wird im Schulterschluss zwischen Rathaus und Bürgern die Grundlage für das Gelingen unseres Staates gelegt.
Straßen, Brücken, Wasserversorgung, Kitas, Schulen, Feuerwehr, Sport- und Kulturstätten, Vereinsförderung und vieles mehr. Daseinsvorsorge und das gesellschaftliche Zusammenleben sind ohne handlungsfähige Kommunen nicht möglich.
Was droht, wenn wir nicht handeln
Die Kommunen sind damit das Rückgrat eines gelingenden Staates. Doch ihre Handlungsfähigkeit ist gefährdet. Die Kommunalfinanzen sind in einer solch dramatischen Schieflage, dass bereits die Erfüllung der Pflichtaufgaben kaum mehr möglich ist.
Konkret heißt das: Die Sanierung der Sporthalle, des Kindergartens oder der Schule fallen aus. Investitionen in Klimaschutz oder Klimawandelanpassung werden gestrichen. Die Nutzungsgebühren steigen, die Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer reichen nicht mehr aus. Frei- und Hallenbäder lassen sich nicht mehr halten, die Vereinsförderung kommt auf den Prüfstand, Öffnungszeiten in Kitas oder auch der Bibliothek müssen reduziert werden.
Keine dieser Maßnahmen will ein Kommunalpolitiker beschließen – doch vielerorts werden sie unvermeidlich.
Geld allein wird dies jedoch nicht lösen. Denn was wir erleben, ist nicht nur eine finanzielle Überlastung – es ist ein strukturelles Problem. Der Staat lebt über seine Verhältnisse – und das seit Jahren.
Die Summe an staatlichen Leistungszusagen, Standards, Versprechen hat ein Maß erreicht, das mit den verfügbaren Ressourcen nicht mehr erfüllbar ist.
Es braucht deshalb eine mutige Reform – strukturell und gesamtstaatlich
Deshalb sind wir als Gesellschaft gefordert, eine strukturelle Antwort zu geben. Wir brauchen eine ehrliche, gesamtstaatliche Reform. Das heißt: weniger Einzelfallgerechtigkeit und mehr Eigenverantwortung. Wir brauchen eine Aufgaben- und Standardkritik, die den Mut hat, Prioritäten zu setzen. Und wir brauchen die Bereitschaft, neu zu fragen: Was kann und muss der Staat leisten – und was kann er nicht mehr leisten, ohne sich selbst zu überfordern?
93 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Baden-Württemberg fordern eine konsequente Reform in diesem Sinne.
Doch auch wir als Gesellschaft müssen bereit sein, eine solche Reform mitzugehen. Wir müssen beitragen – nicht nur erwarten. Wir müssen vertrauen – in unseren Gemeinsinn, seine Werte und unsere Kraft des Füreinanders. Wir müssen bereit sein, mehr zu leisten – für den Staat, für die Gemeinschaft, für das Gelingen unserer freiheitlichen Demokratie.
Demokratie ist kein Bestellshop – sie ist die Einladung an alle, sich mit ganzer Kraft für eine freiheitliche und wohlständige Gesellschaft einzubringen. Und deshalb kann Demokratie auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn wir alle unseren Beitrag dazu leisten.
Wir brauchen auch Ehrlichkeit in der Migrationspolitik. Integration gelingt dann, wenn die Zugangszahlen beherrschbar und auch Mitwirkung und Rückführung ein wirksamer Teil des Systems sind. Wer zu uns kommt, muss unsere freiheitlich-demokratischen Grundwerte achten. Und er oder sie muss auch zum Gelingen von Gesellschaft und Volkswirtschaft beitragen. Eine erfolgreiche und akzeptierte Migrationspolitik muss dies leisten. Dies aber immer auf der Grundlage von Humanität und Verantwortung. Menschenverächter haben keine Lösungen, sie haben nur Propaganda. Wir Demokraten müssen beweisen, dass wir es besser können.
Und auch beim Klimaschutz gilt: Wir können als Deutschland nur erfolgreich sein, wenn unser Weg für andere Staaten ein Vorbild ist – klar im Ziel, ökologisch wirksam, ökonomisch tragfähig und gesellschaftlich akzeptiert.
Das Grundgesetz als unser gemeinsames Fundament
Unser Grundgesetz war nie als Schönwetterordnung gedacht. Es wurde formuliert in einer Zeit, in der unser Land moralisch, politisch und wirtschaftlich in Trümmern lag. Es ist eine der größten Wohltaten, die unser Land je erfahren hat. Und es verpflichtet uns: zur Selbstverwaltung, zur Verantwortung, zur Teilhabe. Zur res publica – zur gemeinsamen Sache.
Die Gemeinden sind der Ort der Wahrheit, weil sie der Ort der Wirklichkeit sind.
Es gilt, diese Wirklichkeit anzuerkennen und aus der Krise den Mut zur Erneuerung zu schöpfen.
Und deshalb möchte ich dafür werben: machen wir uns bewusst, was unser Staat, was unsere Demokratie zum Gelingen braucht.
Und dazu gehört zuallererst eine neue Ehrlichkeit und ein nüchterner Realismus: Wir stehen vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Als Vertreter der Kommunen sagen wir Ihnen die Wahrheit: dies wird uns allen etwas abverlangen.
Ich bin aber davon überzeugt, wir können das meistern; Gemeinsam, mit Mut und Willen.
Mit einer Haltung, die nicht fragt, was andere tun, sondern, was wir selbst beitragen können. Die Bereitschaft, auch dann standhaft zu bleiben, wenn es unbequem wird. Die Chance, dass wir alle auch künftig in einem lebendigen und freien Land leben dürfen, muss uns Ansporn sein.
Und daher meine Bitte: Machen Sie mit. Für unsere Kinder. Für unser Land. Für unsere Demokratie. Für uns.
In Verantwortung und Verbundenheit,
Ihr Steffen Jäger
Liebe Ingersheimerinnen und Ingersheimer,
der Gemeindetag Baden-Württemberg ist die Interessensvertretung der Städte und Gemeinden in unserem Land.
Präsident Steffen Jäger wendet sich mit dem hier beigefügten Brief direkt an Sie. Dass er dies tut, ist ein ungewöhnlicher Schritt und zeigt, wie besonders unsere Situation ist.
Sie selbst bemerken es sicher an den Diskussionen und Entscheidungen Ihres Gemeinderats, dass wir uns genau in der von ihm beschriebenen Situation hier in Ingersheim befinden. Es ist eben kein Jammern und Nörgeln Einzelner. Die Situation ist insgesamt dramatisch. Dieser Wahrheit müssen wir ins Auge blicken und es gibt auch nichts zu beschönigen. Und gleichzeitig sage ich: den Kopf in den Sand zu stecken ist keine Option. Was hat uns schon immer stark gemacht? Unser Erfindergeist, unsere Kreativität, unser Zusammenhalt.
In Gesprächen mit Ihnen und auch außerhalb des Ortes spüre ich: die Menschen sind unzufrieden mit der überbordenden Bürokratie, mit zu vielen Regeln, die uns nicht weiterbringen.
Ihre Gemeindeverwaltung ist in sehr vielen Bereichen gezwungen, Regeln umzusetzen, die Entscheidungsfreiheit schwindet schleichend, aber stetig. Der finanzielle Spielraum der Gemeinde Ingersheim wird ebenfalls stetig geringer. Dies liegt an steigenden Kosten im Baubereich, steigenden Transferleistungen an übergeordnete Behörden und an Rechtsansprüchen und Gesetzesvorgaben, die den Kommunen nicht nur vorgeben, was sie zu tun haben, sondern auch wie.
Frei übersetzt wünsche ich mir im Sinne Steffen Jägers: Bund und Land, bitte hört auf, uns Kommunen zu bevormunden, gebt uns wieder mehr finanziellen Spielraum und lasst uns vor Ort entscheiden. Wir sind nah dran an den Menschen, kennen die örtlichen Gegebenheiten und arbeiten im Sinne der Bevölkerung. Wir brauchen starke Gemeinden. Diese bilden das Fundament unserer Demokratie.
In Ingersheim haben wir vielfältige Formate, über die wir unsere Bürgerschaft einbinden. Unser Gemeindeentwicklungskonzept, das die strategische Leitlinie der Gemeinde darstellt, haben wir mit Ihrer Beteiligung erarbeitet. Wir übertragen all unsere Gemeinderatssitzungen live online. Es gibt regelmäßige Einwohnerfrage- und -sprechstunden. In Arbeitskreisen widmen wir uns auch komplexen Themen, hören alle Seiten an und treffen gemeinsam Entscheidungen.
Wer will, kann sich in allen Bereichen ehrenamtlich engagieren. Melden Sie sich gerne bei mir, den Gemeinderätinnen und Gemeinderäten und Ihrer Gemeindeverwaltung.
Wir haben es hier in der Hand vor Ort, die Gemeinschaft zu nutzen, mitanzupacken und unsere Demokratie lebendig zu halten.
Ihre Bürgermeisterin
Simone Lehnert
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